Bakchen
Ein Rausch zwischen Musik, Tanz und Theater
Was passiert, wenn ein über 2000 Jahre alter, weltbekannter Text über den Gott des Rausches auf aktuelle, sehr persönliche Worte junger Menschen aus dem Jahr 2022 trifft?
Nachdem Dionysos lange fort war, kehrt er nun in Menschengestalt in seine Heimatstadt zurück und kämpft um Anerkennung und Respekt. Er gilt als Fremder in der Stadt, doch eigentlich kommt er nach Hause, zurück zu seiner Familie. Dionysos ist das göttliche Kind, Spielender, Tanzender, eine Figur, die anders sieht und aus anderen Perspektiven auf die Welt schaut. Das macht ihn verführerisch und gefährlich. So sieht sich König Pentheus von ihm herausgefordert und lässt ihn verhaften, doch Dionysos befreit sich, und als er die Stadt triumphierend verlässt, folgen ihm die jungen Leute. Im Original der griechischen Tragödie sind es die Frauen der Stadt, die mit Dionysos in den Wäldern feiern, doch in der Dortmunder Fassung und in der Inszenierung von Julia Wissert machen sich die Jugendlichen auf den Weg. Sie befreien sich von den Zwängen und Erwartungen ihrer Eltern. Sie, die Teenager, die Kinder der Stadt, sagen „Dort, bei Dionysos ist die Sehnsucht“ – und die Sehnsucht treibt die Jugendlichen an. Empfindsam und sensibel erleben sie schmerzhaft die Brüche, Widersprüche und Leerstellen unserer Gesellschaft. Zwischen Leistungsdenken, Pandemie, Selbstoptimierung und GNTM gehen sie unter in ihren Kinderzimmern und die meisten Eltern verdrängen den stillen Aufstand der Kinder. Doch Dionysos führt sie hinaus, vor die Tore der Stadt, und bei ihm finden sie die Freiheit, sich selber zu finden. Nicht mehr zu gehorchen, nicht mehr zu funktionieren, nichts mehr leisten zu müssen. Sondern leben, schlafen, atmen. Das ist das Versprechen des Dionysos. Das ist die Sehnsucht.
Dramaturgin Sabine Reich kombiniert in ihrer Textfassung für Bakchen – die verlorene Generation Euripides‘ antiken Stoff mit originalen Tagebuch-Texten von Jugendlichen, die auf der Plattform wattpad.com veröffentlicht wurden, und ermöglicht so eine aktuelle Lesart des antiken Stoffes. In dem Tagebuch wird explizit über Depression und Suizid gesprochen. Regisseurin Julia Wissert setzt die Textkombination mit Musik und Tanz szenisch um, schafft mit Körperlichkeit, Bewegung und Bildern eine rauschhafte Welt. So stehen neben Alexander Darkow, Antje Prust, Adi Hrustemović und Valentina Schüler aus dem Schauspielensemble auch Studierende des Studiengangs „Physical Theater“ der Folkwang Universität der Künste auf der Bühne, choreografiert von Keelan Whitmore.
Wattpad ist eine virtuelle Gemeinschaft, denn nicht nur die Autor*innen veröffentlichen ihre Texte, sondern in der Chat-Funktion kommentieren und ergänzen sehr viele Personen die Texte. So entstehen ein dichter Dialog und ein Austausch zwischen vielen Stimmen, die sich gegenseitig Mut machen und beistehen. Ein dionysischer Raum vielleicht, in dem das Ich überschritten wird und eine Gemeinschaft entsteht. Wir danken nikxxo dafür, dass wir die Texte für die Fassung verwenden dürfen.
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„ (…) es ist wirklich ein Manifest, das Leben zu feiern, und da glaube ich ist dieser Ansatzpunkt, das Ganze rauschhaft, musikalisch auf die Bühne zu bringen, sehr gut gelungen. (…)
Und ich muss sagen, es war einfach eine so schöne Intensität und Leichtigkeit auf der Bühne, die, glaube ich, kaum jemanden aus dem Publikum unberührt gelassen haben dürfte, und insofern kann ich schon auch prognostizieren, dass diese Inszenierung überregional auch durchaus Strahlkraft haben kann (…).“
„Julia Wissert inszeniert einen bilderreichen Konflikt der menschlichen Gemeinschaft.“
„Ihr [Julia Wissert] gelingt ein beeindruckender Abend über Einsamkeit und Exzess. (...) Diese ‚Bakchen - die verlorene Generation‘ sind konzentrierte Denk- Text- und Bilderarbeit, hart am Puls unserer Schauklappen-Gesellschaft, bitter und schön.“
„Antje Prust als Dionysos führt sie in die Natur, windet sich verführerisch schon zu Beginn im Foyer, gibt den Gott kraftvoll, körperbetont und doch entrückt. Ihr Gegner ist Pentheus, von Adi Hrustemović sympathisch-zurückhaltendend gespielt.“
„Auf der Grenze zwischen Performance und Installation: Riesige Videoanimationen und eine Drehbühne, die dauernd in Bewegung ist, sorgen für eine veritable Augenweide.“