Dantons Tod und Kants Beitrag
Intendantin Bettina Kunstmann und ihr Ensemble hadern mit ihrem Theater und den Übeln der Welt. Nicht nur scheint die Verwirklichung der Ideale der Aufklärung ferner denn je, im Gegenteil: Statt Fortschrittsoptimismus herrscht Verzweiflung, statt zum Besseren scheint sich alles zum Schlechteren zu entwickeln. Das muss sich ändern, beschließen die wackeren Theaterschaffenden und besinnen sich auf den alten, größenwahnsinnigen Traum aller Künstler*innen: Die Welt nicht nur interpretieren, sondern wirklich verändern! Die Menschen endlich zum Handeln aktivieren! Und wie soll man das schaffen? Natürlich durch eine (Theater)Revolution! Genauer gesagt eine die Realität selbst übertreffende Inszenierung von Georg Büchners Drama Dantons Tod, das mit der Französischen Revolution das zentrale Ereignis der Aufklärung zum Thema hat. Protagonisten sind auf der einen Seite der dekadente Revolutionsheld Danton und seine Freunde, denen der Glaube an die Revolution und die Freiheit gründlich abhanden zu kommen droht. Auf der anderen Seite der Sozialrevolutionär Robespierre und der fanatische St. Just, die der Meinung sind „Wer eine Revolution nur zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab“. Und die um dieses Ideals willen sogar bereit sind, ihre ehemaligen Mitstreiter als Konterrevolutionäre aufs Schafott zu schicken.
Euphorisch wird also die Theaterrevolution ausgerufen und der dreckigen Realität der Krieg erklärt – doch über das Wie kommt es schnell zu Differenzen. Und während sich die Fraktionskämpfe innerhalb der Truppe immer mehr verschärfen, verwirren sich auch noch die Grenzen zwischen Theater und Realität, zwischen den Konflikten der Ensemblemitglieder und denen ihrer Figuren im Stück. Ist Bettina Kunstmann noch Bettina Kunstmann oder schon der „Blutrichter“ Robespierre? Zeigt die Neue im Ensemble nicht bereits erschreckende Züge des Fanatikers St. Just? Werden etwa am Ende tatsächlich Köpfe rollen?
Nach seiner gefeierten Inszenierung Das Kapital: Das Musical begibt sich Regisseur Kieran Joel mit Dantons Tod und Kants Beitrag erneut auf eine humorvoll-existenzielle Tour de force durch die Metaebenen von Fiktion und Realität, Theater und Gesellschaft. Zwischen Schein und Sein, echten Idealen und falschem Theaterblut ringen hier die Protagonist*innen um die alles entscheidende Frage: Können wir uns und die Welt zum Besseren verändern? Oder gibt es tatsächlich keinen Ausweg aus dem „gräßlichen Fatalismus der Geschichte“?
Hinweise zu sensiblen Inhalten und sensorischen Reizen.
„Einfach fucking kompliziert. Die Revolution ist los zur Dortmunder Spielzeiteröffnung. Kieran Joel hat sich Büchners Kopf-Ab-Drama vorgenommen und es gemeinsam mit dem Ensemble ins Theatermilieu verlegt, bissige Selbstironie natürlich inbegriffen.
Regisseur Kieran Joel hat den Klassiker überschrieben und zusammen mit Dramaturgin Marie Senf eine revolutionäre Theatersatire erstellt, die nicht nur wegen ihres ironischen Happy Ends beim Dortmunder Publikum gut ankam.
Das ist zeitgemäß und aufregend.
Eine Szene und fünf Monate später ertrinkt die Revolution im eigenen Blut, ist Robespierre völlig enthemmt und Danton (gut gespielt von Alexander Darkow) ein zögerlicher Gegenentwurf, den auch seine Freunde Camille (Lukas Beeler) und Hérault (Viet Anh Alexander Tran) nicht aufmöbeln können.
Allein dass Danton-Darkow sich in Sicherheit wiegt, weil ‚die Hauptrolle ja wohl nicht ermordet‘ würde, ist großartig, und dass die Nebenrollen-Revolutionäre nur mitlaufen, weil sie ‚die Miete bezahlen müssen‘ und das Volk im Bürgergeld-Prekariat lebt, ist schön fies.“
„Intendantin dreht durch. Schauspiel Dortmund eröffnet Saison.
Mit ‚Dantons Tod und Kants Beitrag‘ eröffnete das Schauspiel Dortmund am Samstagabend die Saison. Auch in dieser Theatersatire, die wie im Vorjahr wieder Regisseur Kieran Joel inszeniert hat, geht es um die Relevanz von Theater. Mit dem sechsköpfigen Ensemble und Dramaturgin Marie Senf hat der Regisseur das Stück nach Georg Büchners Klassiker von der Französischen Revolution entwickelt.
Das Spiel kann beginnen, die Rollen sind verteilt. Fiktion und Realität vermischen sich zunehmend. Die despotische Intendantin, die geduzt werden will, gibt natürlich Robespierre und wird von der Neuen als St. Just unterstützt.“