Der Ring des Nibelungen
- In der Audioeinführung gibt Ihnen Dramaturg Jasco Viefhues einen kurzen Einblick in Der Ring des Nibelungen. Eine Live-Einführung können Sie 30 Minuten vor ausgewählten Vorstellungsterminen im Foyer erleben.
Jetzt reinhören!
Willkommen zur Afterhour der Geschichte – wo der Mythos endet und ein neues Wir beginnt!
„Darf ich, bei dem zuhause kein Klavier rumstand, nicht mal ne Blockflöte, bei dem den ganzen Tag Super RTL lief, dem abends keine Mythen vorgelesen wurden, für den Wagner eine Tiefkühlpizza der gehobenen Preisklasse war …? Darf ich bei ‚dem Ring‘ überhaupt mitmachen?“
In Necati Öziris Neuordnung von Wagners monumentaler 16-stündiger Oper treten endlich die Randfiguren des Originals in den Vordergrund und stellen den Mythos in Frage: Alberich, der Zwerg, bricht aus den Ketten der göttlichen Elite aus; Brünnhilde kündigt ihren Job als Walküre bei ihrem Vater Wotan; die Kinder der Riesen Fasolt und Fafner fordern endlich gerechte Entlohnung für die Arbeit ihrer Eltern am Aufbau von Walhall/Deutschland; und Erda, die Erdgöttin, und ihre Töchter prophezeien Wotan den Untergang durch eine Revolte von unten. Als dann auch noch Fricka die Seiten wechselt und Wotan im Stich lässt, steht er plötzlich allein gegen eine neue Gemeinschaft, die den Rand in den Mittelpunkt rückt – und er versteht die Welt nicht mehr. Hat er nicht immer den Laden am Laufen gehalten? Und jetzt soll das alles falsch gewesen sein?
Unter der Führung von Arda, dem Alter Ego, und Erzähler Necati Öziris begibt sich dieser Ring auf die Suche nach einem neuen Mythos, der uns alle einschließt, unabhängig von Macht und Status. Auf der Tanzfläche der Geschichte, zwischen pulsierenden Bässen der Afterhour, finden sich die Ausgebeuteten, die Einsamen, die Verlassenen und diejenigen, für die kein Platz vorgesehen ist. Sie erheben ihre Stimmen, begleitet von live komponierten Tracks, und erkunden die tiefsten Winkel dieser deutschen Saga. Diese unkonventionelle Interpretation einer zeitlosen Geschichte lässt die Stimmen der Unterdrückten lauter denn je erklingen und wirft die Frage auf, ob jenseits von Macht und Reichtum Raum für etwas Neues entstehen kann.
Der Ring des Nibelungen, neu erzählt jenseits von Wagner, wird zu einer Rebellion der Machtlosen, untermalt von mitreißender Musik.
„Die deutsche Erstaufführung ist bildstark umgesetzt. Bühnenbildnerin Jana Wassong schuf einen Raum mit einem Walhalla-Kasten wie ein Terrarium, davor eine Menge große Klötze, die das Baumotiv spielerisch erweitern. Und die Kostüme von Nicola Gördes öffnen Assoziationen vom Blumenhut für Erda bis zu den Pferdekostümen, die die Musiker in Walküren-Rosse verwandeln.
Von nun an übernehmen die anderen das Wort. Sie tragen ungehaltene Reden vor, Wider- und Einsprüche, mit denen die Opfer von Wotans Intrigen ihr Recht einklagen.
Nika Mišković als Brünnhilde verweigert sich dem Dienst für den Göttervater (…). Dieses Solo wird zur druckvollen Hardrock-Nummer, Miskovic wälzt sich mit dem Mikrofon auf dem Boden, röhrt und schreit und lässt die angestaute Wut mit angemessener Wucht und Lautstärke frei.
Isabelle Pabst und Maika Küster treten als Kinder der Riesen auf, die hier als Gastarbeiter gelesen werden, als migrantische Malocher, die ihre Lebenszeit für den Wohlstand der eingesessenen Gesellschaft opferten. Die Musikerinnen fassen das in eine Art Chanson, einen Wechselgesang, zart und eindringlich.
Das sind stimmige, beeindruckende Szenen, die Schauspielchefin Wissert in ihrer Inszenierung aneinanderreiht (…).“
„Necati Öziri liefert uns einen ‚Ring‘ ohne Worte und ohne Musik (doch ein bisschen Musik gibt es schon, aber garantiert keinen Ton von Wagner), einen Ring von Unten oder einen Ring, der die Lücken in Wagners monumentalem Musikdrama stopft.
(…) die satirische Schärfe, kombiniert mit dem Versuch, den Figuren dennoch psychologische Tiefe zu geben, ist seine Stärke (…).
‚Ihr wisst, wer wir sind und kennt uns dennoch nicht.‘ Das (Geschwister Dev) sind die Kinder der Riesen Fafner und Fasolt, die für Wotan einst die Burg Walhall bauten. Sie sind die Kinder der emigrierten Arbeiter, die für Deutschlands Wohlstand schufteten. Hier ist nicht nur Öziris Text am stärksten (‚Kinder speichern ewiglich. Wir sind die Körper einer falsch gelebten Zeit‘). Hier gibt es nun doch Musik: Isabelle Pabst und Maike Küster singen diese Klage in schnörkelloser, lupenreiner, folkloristisch angehauchter Zweistimmigkeit. So kindlich schön, so geht das unter die Haut.“
„(…) Wissert vertraut ihren durchweg guten Schauspielern (…)
Bei Öziri sind diese Revolten der verkannten Seelenbilder, die berühren und die Wagner-Kennern eine andere Seite der Figuren zeigen. Viel Präsenz gab Sarah Quarshie der Erda, und sie lieh auch dem bei Wagner stummen Waldvogel am Schluss ihre Stimme.
Adi Hrustemović zeigte sehr schön die verletzliche und mitleiderregende Seite von Alberich, wenn er den Zwerg fragen ließ ‚Was ist attraktiv?‘.
Berührend ließen Maika Küster und Isabella Pabst die Kinder der Riesen sprechen: Der Bau der Burg Walhall hat ihnen Eltern und Jugend geraubt – ein Gastarbeiterkinder-Schicksal.
Nika Mišković war eine rebellische, sehr kraftvolle Brünnhilde im feministisch-lilafarbenen Reiterdress; ihren Vater Wotan spielt Alexander Darkow etwas sehr cholerisch überdreht.
Ehefrau Fricka erinnert in Julia Wisserts Regie an die Venus von Botticelli und Antje Prust (…) eine sehr verletzliche und verletzte Frau.“
„Wagemutig, aber sehenswert ist dieses unterfangen auf jeden Fall.
In flinken 20 Minuten, die gehörig Spaß machen, führt Tamer Tahan zu Beginn einmal quer durch die Handlung des ‚Rings‘ und verrät nebenbei worum es unterm Strich eigentlich geht: ‚Um Heimat, Gold und Männer, die Bock auf Frauen haben.‘
Es sind mehr die Gestalten aus den hinteren Reihen, die hier eine Stimme bekommen – und sie nutzen sie mit ganzer Kraft. Sechs ausgewachsene Monologe sind es am Ende, denen die Zuschauer lauschen, vom Dortmunder Ensemble durch die Bank bestens gespielt.
Interessanterweise sind es zwei junge Musikerinnen, denen der schönste Auftritt des Abends gelingt. Als Geschwister Dev, die bei Wagner gar nicht vorkommen, erzählen Maika Küster und Isabella Pabst in einem wunderbar zarten Gesang von ihrer Geschichte.“
„Julia Wissert gelang ein durch den ‚Ring‘ eine gelungene Inszenierung des alten, germanischen Mythos. Wagner-fern und Dank Öziri auf aktuelle Themen konzentriert.
Ein gelungenes Spektakel, auch dank der Livemusik von Isabelle Papst, Maika Küster und Yotam Schlezinger, die die Bühne teilweise ordentlich gerockt haben.
Wer also den ‚Ring‘ mal ohne Wagnerianisches Pathos in weniger Zeit erleben möchte oder überhaupt mal wissen möchte, worum es beim ‚Ring‘ geht, sollte auf jeden Fall eine Vorstellung besuchen.“