Der Traum der roten Kammer

Hintergründe und Entstehung eines Balletts

Biografie und Fiktion

Intensiver als die Vorgänger-Romane thematisiert Cáo Xuěqín die Gesetzmäßigkeiten des irdischen Lebens: die Wechselhaftigkeit der Machtverhältnisse und die Hinfälligkeit des menschlichen Körpers (beides erlebte er am eigenen Leib). Weltweit zum ersten Mal findet sich in seinem Werk eine detaillierte Schilderung des Krankheitsverlaufs der Tuberkulose (er kannte die Krankheit aus seinem Lebensumfeld wohl durch eigene Anschauung, vielleicht sogar, wir wissen es nicht genau, aus eigenem Erleiden).

Auch die Transformation der eigenen Biografie in eine fiktionale Romanhandlung hat bislang in der chinesischen Literatur nicht stattgefunden: Wie die Dynastie der Cáo durch den Machtwechsel auf dem Drachenthron in sozialen Verelendung geriet, so schwindet auch durch einen bürokratischen Willkürakt die Macht des Hauses Kia, das seinen Niedergang schon in seinem Namen trägt („Kia“, „Djia“ = „Trug“, „Schein“): Nach dem Tod der Ahne Tai Tai wird ihr Nachlass von Räubern geplündert, der letzte Vertreter der Dynastie kehrt verarmt aus der Haft in seine Heimat zurück, um von einem Mönch mit Erkenntnis – wertvoller als alles irdische Gut – belohnt zu werden – mit der wahren Geschichte des Steins …

Vor allem aber zeichnet sich der Roman durch seine Charakterisierung aus. Lange vor Sigmund Freud und C. G. Jung findet der Autor bildhafte Szenerien für die physische und psychische Entwicklung seiner Figuren. Der titelgebende Traum Pao Yüs changiert zwischen kathartischer Symbolik und sexuelle Pubertätsfantasie. Die im Winter halbseitigblühende Goldbegonie, das Wirken von Zauberern und Wahrsagern, böse Vorzeichen, dem Geisterglauben des Daoismus verpflichtet, aber auch die für die chinesische Lyrik so typische Reflexion emotionalen Befindens durch die umgebende Natur und die herrschenden Witterungsverhältnisse, spielen archaische Tonleitern auf den dunklen Saiten des menschlichen Unbewussten.

Cáo Xuěqín erweist sich in der schonungslosen Darstellung sozialer (Abhängigkeits-)Verhältnisse als Psychologe. An der starren Gesellschaftshierarchie vorbei lenkt er immer wieder den Blick auf das Schicksal einzelner Dienstboten. Liebevoll schildert er jede einzelne Zofe, jede versieht er mit persönlichen Wesenszügen, billigt ihnen Gedanken, Meinungen, Gefühle, ja sogar Entscheidungen zu, und sei es die einer Magd, aus unerwiderter Liebe Selbstmord zu begehen.